Die Anfänge

Eine festliche Premiere

Das Wasser floss in Strömen an den zum erstenmal beheizten Wänden herunter und die Stromsperre war gerade noch rechtzeitig beendet worden.“ (Selbstdarstellung des Kleinen Spiels, 1955)

… und wie es dazu gekommen war

Ein kleiner Junge, seine Begeisterung für das Puppenspiel und ein Papiertheater – das sind die Ursprünge des Kleinen Spiels. Peter Auzinger, geboren 1922 als Sohn einer Künstlerfamilie, konnte mit dieser Begeisterung für die Puppen einige Schulfreunde anstecken. Man spielte im elterlichen Wohnzimmer Grimmsche Märchen und Kasperliaden von Franz Graf Pocci auf einer Miniaturbühne ganz aus Papier. Bald wurden den Kindern die Papphelden aber zu langweilig: Sie begannen, selbst Marionetten zu basteln, und Peter Auzinger schrieb seine eigenen Kasperlstücke. Großes Vorbild war dabei das berühmte Münchner Marionettentheater in der Blumenstraße, 1858 von „Papa“ Schmid gegründet.

In den 30er Jahren entstand aus dem Heimtheater nach und nach eine Wanderbühne. Unter dem Namen „Münchener Marionettenbühne“, später „Marionetten-Kammerspiel München“, gaben die Kinder Vorstellungen in Wohnungen und von Verwandten und Freunden. Den Theaterbetrieb organisierte die mittlerweile etwa 15köpfige Gruppe mit großem Ernst: Es gab eine Direktion, verschiedene künstlerische Abteilungen und Referate. Man ließ Programme und Eintrittskarten (obwohl der Eintritt frei war) drucken.

1.9.1939: Der Zweite Weltkrieg bricht aus. Er reißt schließlich auch den Freundeskreis um Peter Auzinger auseinander.

Ruinenspiele

Was motivierte eine Handvoll junger Leute, die sich in den Wochen nach Kriegsende allmählich und oft zufällig wieder in München begegneten, in dieser schwierigen Zeit ihre alte, unbeschädigt gebliebene Wanderbühne hervorzukramen und in einer Schwabinger Ruine Marionettentheater zu spielen?

Wir haben alle fast alles verloren. Mit den materiellen und ideellen Begriffen ist auch ein Grossteil des Glaubens an das Gute im Menschen verloren gegangen. Wir sind alle zwischen 20 und 25 Jahre alt und sind betrogen worden, betrogen um die Ideale des Lebens. (…) Dem müssen wir abhelfen, wollen wir nicht im Chaos der Zeit uns selbst verlieren. (…) Der brennende Wunsch ist in uns, wieder froh zu werden. Noch steckt ein kleiner Funke von Liebe zu Musik, Kultur und zum Leben in uns. (…) So haben wir angefangen, unsere alte Liebe, unser kleines Marionettentheater wieder aufzubauen. Wir haben beschlossen, uns gegenseitig zu helfen, um uns ein neues, freies Leben mit erträglichen Grundlagen zu sichern. (…) Es ist doch unser Wunsch, den Zwang der vergangenen Jahre endlich zu vergessen. (…)
(aus „Gedanken um unser Theaterstudio“, um 1946)

Nach dem Krieg erwachte in ganz Deutschland ein enormer „Kulturwillen“. Man suchte am Ende eines Alptraums Trost in der Kunst, die als Therapie, als Überlebensmittel empfunden wurde. Ziel war es, sich des „Wahren, Guten und Schönen“ – trotz allem – zu versichern, aus Apathie und Hoffnungslosigkeit dieser düsteren Zeit herauszufinden. Das Marionettenspiel bot der Studentengruppe um Auzinger außerdem die verschiedensten künstlerischen und handwerklichen Arbeitsmöglichkeiten bei relativer Einfachheit der nötigen Mittel; in einer Zeit extremer Materialknappheit ein wichtiger Aspekt. Ein Notquartier für ihre Wanderbühne fanden die Freunde in einer Ruine in der Georgenstraße. Schon im August 1945 gaben sie hier mit Lope de Vegas „Schlauer Susanne“ ihre erste Vorstellung – übrigens eines der frühesten Theaterereignisse überhaupt im Nachkriegs-München. Der Erfolg beim Publikum, auch bei verschiedenen Gastspielen in Privatwohnungen, ermutigte die Gruppe zu mehr: Sie wollte ihrem Hobby eine solide Basis geben, aus dem lockeren Zusammenschluss von Freunden sollte ein offizielles Theaterstudio mit festen Räumen werden.

Ein neuer Name wurde gefunden, der auf den Amateurstatus hinwies und gleichzeitig vom “großen Theater“, von der Menschenbühne, abgrenzte: Kleines Spiel.

Lizensiert und genehmigt

Nach einigen Mühen erhielt man im April 1946 die obligatorische Spiellizenz von der amerikanischen Militärregierung und bekam außerdem den Zuschlag für eine stark beschädigte Atelierwohnung im vierten Stock der Schwabinger Ainmillerstraße.

Die mittlerweile wieder etwa 15köpfige Gruppe – darunter Kunst-, Medizin- und Physikstudenten – machte sich daran, die Räume instand zu setzen. Ein tragischer Unfall im September 1946 überschattete die Arbeiten: Peter Auzinger verunglückte tödlich auf der Baustelle. Das Kleine Spiel hatte seinen Gründer und seine treibende Kraft verloren. Nach der ersten Erstarrtheit beschloss die Gruppe, das Projekt in seinem Sinn zu Ende zu bringen. So entstand nach etwa sieben Monaten Bauzeit ein romantisch-verspieltes Kammertheater für etwa 75 Zuschauer mit reich verzierter Guckkastenbühne, Foyer und Werkstätte, das am 7.2.1947 feierlich eröffnet wurde: Ein Traum war in Erfüllung gegangen.